Morgennebel über den Bäumen, eine tiefstehende Goldsonne und die angenehme Restwärme des Sommers machen den Herbst seit jeher zu einer der schönsten Wanderzeiten des Jahres. In Schottland kommt dazu, dass es die Midges endlich wieder etwas ruhiger angehen lassen und man eine faire Chance hat, den nahezu mythisch überhöhten Blutsaugern aus dem Weg zu gehen.
Der ideale Zeitpunkt also, den Glen Affric-Kintail Way in Angriff zu nehmen. Dieser relativ junge Fernwanderweg verbindet Drumnadrochit am Loch Ness mit Morvich in Kintail und führt auf vier Tagesetappen durch eine zunehmend verlassene Seen- und Berglandschaft.
Leider war uns der Wettergott nicht ganz so wohlgesonnen, was der Schönheit des abwechslungreichen Tals und der Landschaft, in die wir eintauchen sollten, allerdings keinen Abbruch tat.
An einem Freitagmittag bei Nieselregen wandern wir mit unseren Rucksäcken in Cannich los, einer leicht verkürzten Variante des Glen Affric Kintail Ways folgend. Vorbei an einem Shetlandpony (und dem Gedanken, dass ein Lasttier vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen wäre) führen die ersten Kilometer entlang einer Straße, dann einer Forsttrasse, die zwar verlassen, aber eben doch noch nicht die heißersehnte Wildnis sind. Umso häufiger sind die Schokoladenpausen.
Gut, dass uns der Affric-Kintail-Wegweiser mit dem Symbol der aufgehenden Sonne schließlich links in die Büsche auf sanftere Pfade lenkt. Entlang des in der Sonne glitzernden Loch Beinn a‘ Mheadhoin läuft es sich am Nachmittag deutlich beschwingter. Das gemütliche Bett im B&B haben wir uns am Abend verdient. Als wir am nächsten Morgen zurück in unsere Bergschuhe schlüpfen, hängt der Morgennebel noch in den Baumwipfeln des Caledonian Forests, jenes mythischen Urwalds, der einst fast ganz Schottland überzogen hat. Das Rauschen des Wasserfalls unter uns und die Vögel, die bereits durch die Lüfte huschen, verleihen der ganzen Szenerie einen märchenhaften Anstrich.
Die Aussicht auf blauen Himmel lässt uns erfrischt und relativ schmerzfrei losziehen. Dennoch wechseln sich vorüberziehende Regenschauer und Sonne munter ab, was uns nicht nur unsere GoreTex-Ausstattung zu schätzen lehrt, sondern auch einen optimistischen Gleichmut angesichts sämtlicher Wetterkapriolen. Während wir die letzten Ausläufer des Kaledonischen Waldes hinter uns lassen, bringt der zweite Tag nun endlich das vorher bereits durch Bäume und Geäst erahnte einsame Berg- und Seenpanorama.
Als wir zur Mittagszeit einen kleinen Weiler erreichen, sehen wir schon von Weitem eine Zeltplane im Wind flattern. Unsere Weggefährten entpuppen sich nach zögerlicher englischer Konversation ebenfalls als Deutsche. Mit einem beeindruckenden Sortiment an Pfannen und Töpfen, das vom Rucksack baumelt, fallen die beiden auf liebenswerte Art und Weise aus dem Raster der ausrüstungsfanatischen Outdoorprofis. Das klirrende Kochgeschirr, mal vor, mal hinter uns, bleibt uns auch in den kommenden Tage ein freundlicher Begleiter im Glen Affric.
Weiter windet sich unser Weg durch ein breites Flusstal, während die Berge am Horizont merklich höher werden. Nach einer weiteren Kurve spitzt endlich die Silhoutte der Glen Affric Jugendherberge hinter einem Hügel hervor, das abgelegenste Hostel des Landes. Hierher führen keine Straßen und ein fröhliches kleines Windrad schultert die gesamte Stromversorgung. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist das Willkommen umso herzlicher: Warme Scones mit Marmelade warten auf uns, ein Feuer im Kamin und die Gelegenheit, endlich die Wanderschuhe abzustreifen. Fernab von Handyempfang und Straßenverkehr, stellt sich endlich die langersehnte Hüttenromantik ein.
Unser letzter Wandertag beginnt mit Platzregen. Als der Regen um die Mittagszeit endlich nachlässt, gibt es auch für uns keine Ausreden mehr und wir schultern wieder unsere Rucksäcke.
Während sich das Glen Affric mehr und mehr verengt und die sagenhaften Berggipfel der Five Sisters of Kintail in den Himmer ragen, führt uns unser Weg heute entlang holpriger, alter Viehtreiberrouten. Dass hier früher tatsächlich ganze Rinderherden in die weiter südlich gelegenen Markstädte getrieben wurden, lehrt uns neuen Respekt sowohl vor den sonst hauptsächlich niedlich aussehenden Hochlandrinder als auch vor ihren mindestens ebenso zotteligen Besitzern – ganz besonders, weil uns der Wind heute mehr als einmal sprichwörtlich von den Beinen fegt. Als Alpenländler sind wir mit den seeluftigen Orkanböen, die über die Highlands und Islands pfeifen, alles andere als vertraut: Der Regenumhang flattert ständig ins Gesicht, Kleidungsstücke, die nicht ordentlich am Rucksack befestigt wurden, verabschieden sich die Klippen hinab und an eine gemütliche Brotzeit ist sowieso nicht zu denken. Und trotzdem fühlt man sich irgendwie herrlich lebendig.
Nach unserem Abstieg ins Tal machen wir kurz Halt an der Glen Licht Hütte, deren gälischer Name ausnahmsweise einmal für uns Deutsche besonders poetisch – und vor allem aussprechbar – klingt. Die Hütte ist verschlossen, im angrenzenden Holzverschlag guckt jedoch plötzlich eine Bommelmütze hervor. Deren Besitzerin wärmt sich bei Tee und Sandwiches auf und sehnt sich ganz offensichtlich nach Unterhaltung. Wir geben nach und verabreden uns für den Abend auf ein Pint im Kintail Lodge Hotel – ein erster Vorbote dafür, dass die Zivilisation nicht mehr fern ist.
Während wir die Felswände hinter uns lassen und der Weg merklich flacher wird, trudeln langsam wieder Handynachrichten ein. Schade eigentlich – obwohl wir trotzdem irgendwie dankbar sind, dass wir Google Maps nach der Adresse unseres B&Bs konsultieren können.
Nachdem einer ordentlichen Dusche und dem Versuch, unsere Wanderklamotten zumindest ein bisschen auszuklopfen, sehen wir wieder einigermaßen präsentabel aus. Obwohl der Aufwand gar nicht notwendig gewesen wäre – als wir für unser Gute Nacht-Pint in die Kintail Lodge kommen, sehen wir eine ganze Reihe von bekannten Gesichtern, müde, immer noch zerzaust, und doch mit wissendem Lächeln. Ganz so, also ob die Welt ein wenig kleiner geworden wäre.
Der Glen Affric & Kintail Way wurde erprobt und erwandert von unserer Kollegin Hannah Grimmel (Text & Bild).